LiMux-Aus in München: Opposition wettert gegen "katastrophale Fehlentscheidung"
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Grüne und Piraten sprechen angesichts des Vorhabens der schwarz-roten Koalition in München, die Open-Source-Strategie der Stadt quasi nebenbei zu beerdigen, von einem fatalen und millionenschweren Schildbürgerstreich.
Die Initiative der regierenden Münchner Stadtratsfraktionen von SPD und CSU, das vor über 13 Jahren in die Wege geleitete Prestigeprojekt LiMux rund um freie Software in der Verwaltung im Handstreich zu beenden, hat bei Oppositionspolitiker Kopfschütteln ausgelöst. Es sei ein Schildbürgerstreich, “ganz nebenbei mit einem unscheinbaren Absatz in einem längeren Änderungsantrag die Linux- und Open-Source-Strategie der Stadt mal eben abzuwickeln”, erklärte Grünenchef Florian Roth gegenüber heise online. Dem Vorhaben fehle jede fachliche Grundlage.
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LiMux als Schwachstelle
Selbst das von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) extra beim Beratungshaus Accenture eingekaufte Gutachten zur IT-Landschaft der Landeshauptstadt, das LiMux als eine von vielen Schwachstellen ausmachte, hat laut Roth zu keinem derartigen harten und abrupten Kurswechsel geraten. Eine Folgenabschätzung sei nicht erstellt worden.
Für den Grünen ist so klar: “Viele Millionen verlorene Kosten des Linux-Projekts, Millionen an Lizenz- und Umstellungskosten sowie die Verschwendung von Zeit und Ressourcen durch die Konzentration auf ein nicht zeitgemäßes Rollback werden die Konsequenz sein.” Durch die Einführung von Linux seien schon bis 2013 elf Millionen an Lizenzgebühreneingespart worden, in Zukunft würden bei einer Rückmigration zu Microsoft jährliche Mehraufwände im Millionenbereich entstehen, rechnet Roth vor. Die rund 14 Millionen, die bisher in das Experiment mit freier Software investiert worden seien, wären verloren. Mindestens 15 Millionen würde allein der Austausch von nicht Windows-fähigen PC kosten.
“Pragmatische Ausnahmen”
Richtig wäre es dem Oppositionspolitiker zufolge, die Open-Source-Linie “mit pragmatischen Ausnahmen” weiterzuführen. Die Verwaltung müsse sich auf eine Zukunft konzentrieren, “in der mobiles und webbasiertes Arbeiten statt PCs mit klassischen Betriebssystemen im Mittelpunkt stehen werden”. Nun gebe es nur einen Gewinner der Linux-Abkehr: In der 2016 von Reiter eröffneten Münchner Microsoftzentrale würden sicherlich “die Sektkorken knallen”.
Auch Thomas Ranft, der für die Piraten in der Fraktion “Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung” sitzt, fürchtet eine “Verbrennung von Steuergeldern ohne Ende” und eine “katastrophale Fehlentscheidung”. Nicht LiMux und andere freie Software seien im Kern für den Frust vieler Angestellter in der Verwaltung rund um die IT verantwortlich, sondern “ein Strukturproblem”. Jahrelang habe jedes Referat in diesem Bereich vor sich hingewurschtelt, niemand habe den Hut aufgehabt. Daran werde sich vermutlich auch mit dem Plan, die Organisation der Rechnerlandschaften halbherzig neu zu gestalten, wenig ändern.
“Unterirdisch und hirnrissig”
“Unterirdisch und hirnrissig” ist der für Mittwoch im Stadtrat angesetzte Beschluss nach Ansicht Ranfts auch, da in der Wirtschaft längst viele große Firmen auf Open Source umstellten, um nicht zuletzt ihre IT-Sicherheit zu stärken. Mit der Rolle rückwärts zu Microsoft könne die Koalition die Daten der Bürger dagegen auch “gleich ins Weiße Haus schicken”. Völlig offen sei ferner, was mit den 60 bis 70 kommunalen Linux-Programmierern geschehe. Gerade die SPD hätte generell wissen müssen: “So geht man nicht mit den Mitarbeitern um.” Viele hätten von dem neuen Kurs erst aus den Medien erfahren.
Die schwarz-rote Entscheidung sei offenbar aus dem Bauch heraus ohne Begründung und Ausschreibungen, also “post-faktisch” gefallen, beklagt Matthias Kirschner, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE). An der eingesetzten Open-Source-Technik habe sich das Schlamassel mit der Münchner IT nicht verorten lassen: “Unzählige Unternehmen zeigen, dass es geht.” Auch in anderen europäischen Städten laufe es mit Linux rund. Die Kompetenzen im Bereich Hard- und Software seien in der Landeshauptstadt derart zerstückelt, dass es die Verwaltung dort auch mit Microsoft “nicht gebacken kriegt”. Arbeitsplätze rund um LiMux bei Red Hat, Kolab oder mehreren kleineren Anbietern ständen derweil vor dem Aus.
Abschied vom Pinguin
Der Abschied vom Pinguin zeichnete sich für alle, die zwischen den Zeilen lesen konnten, seit dem Regierungswechsel 2014 ab. Reiter und sein Vize Josef Schmid ließen lange kaum eine Gelegenheit aus, um scharf gegen LiMux zu schießen und sämtliche hausgemachten IT-Probleme auf die nicht von klein auf gewöhnten Open-Source-Anwendungen zu schieben. Jüngst hielt sich die Rathausspitze mit Seitenhieben auf Linux zurück, dafür schimpfte der CSU-Personalreferent Alexander Dietrich im November über eine “rigorose Open-Source-Strategie”. Er behauptete, dass “moderne IT-Arbeitsplätze” damit nicht möglich wären und der ursprüngliche Ansatz, Kosten zu sparen und sich von großen Herstellern unabhängig zu machen, gescheitert sei.
Mit der geplanten Wende gehen SPD und CSU weit über die Ratschläge aus dem Accenture-Gutachten hinaus. Darin war noch von einem Nebeneinander offener und proprietärer Welten die Rede: “Die Entkopplung von Betriebssystem und Anwendung ist entscheidend, um die Abhängigkeiten an den Client zur reduzieren. Um dies zu gewährleisten, sollten zwei Clients (Windows und LiMux) in einer Basiskonfiguration bereitgestellt werden. Diese enthalten jeweils das Betriebssystem sowie Anwendungen, die alle Referate und Eigenbetriebe benötigen wie etwa LibreOffice, Kalender und E-Mail. Die Basiskonfiguration sollte dann je nach Einsatzzweck erweitert werden.”
“Marktübliche Standardprodukte”
Die Analysten wiesen auch darauf hin, dass es derzeit rund 10.000 Vorlagen für Schreiben über die extra entwickelte Lösung WollMux sowie rund 130 Makros in LibreOffice gebe, um Abläufe zu automatisieren und Verwaltungsaufgaben zu unterstützen. Die Microsoft-Alternative fürs Büro sollte daher weiterhin als Standard für die Kommunikation eingesetzt, das Paket der Redmonder mit Word, Excel und Powerpoint nur als “Fachanwendung” behandelt, also bei entsprechendem zusätzlichen Bedarf verfügbar gemacht werden. Die Koalition will von dieser Empfehlung aber nichts wissen und nur noch auf “marktübliche Standardprodukte” setzen. (odi)
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